Sonntag, 26. Juni 2016

Übernehmt Verantwortung für Euer Tier!

Gestern bin ich über folgenden Tweet gestolpert:



Ich habe den Sachverhalt wie folgt kommentiert:



Die gemischten Reaktionen darauf haben mich dazu veranlasst, ein paar erläuternde Worte dazu zu schreiben, denn das Thema beschäftigt mich.



§ 1 S. 2 des Tierschutzgesetzes besagt:
Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen.
Natürlich unterstelle ich im vorliegenden, beispielgebenden Falle nicht, dass die Besitzerin ihrem Hund unmittelbar Schmerzen, Leiden oder Schäden zugefügt hat.
Schmerzen, Leiden oder Schäden zu vermeiden umfasst aber auch, dem eigenen Tier eine Behandlung angedeihen lassen zu können, die Schmerzen, Leiden oder (dauerhafte) Schäden beendet, verhindert oder zumindest mindert, soweit das in einem vernünftigen Maße möglich ist. Und genau das ist der Knackpunkt.
Wer sich ein Tier anschafft oder entscheidet, es trotz sich verändernder Lebensumstände zu behalten, hat die Pflicht dazu, Vorsorge zu treffen für den Fall eines Unfalls oder einer Krankheit des Tieres. Punkt.
Tierarztbehandlungen sind, je nach Art und Größe des Tieres, eine kostspielige Angelegenheit. Darauf muss man vorbereitet sein, denn niemand kann davon ausgehen, dass ausgerechnet ihr/sein Tier unfall- oder krankheitsfrei durch’s Leben kommt. Das Prinzip Hoffnung, es möge schon nichts passieren, ist fahrlässig.

Zu den monatlichen Kosten der Tierhaltung gehören deshalb nicht nur die Unterbringung, Futter und die unmittelbare Ausrüstung. Dazu gehören Kosten für regelmäßige Behandlungen (Wurmkuren, Impfungen, …), für erwartbare Behandlungen (Kastrationen, Zahnbehandlungen, …) und auch Rücklagen für unvorhergesehene Ereignisse (Unfälle oder Krankheiten). Gerade Letzteres scheint einigen Tierhalterinnen und Tierhaltern nicht bewusst zu sein oder es wird von ihnen ignoriert.
Vorsorge zu treffen ist dabei gar nicht so schwer. Am Einfachsten ist es natürlich, über hinreichend Einkommen zu verfügen, um auch unvorhergesehene Kosten decken zu können. Je kleiner das Tier, desto einfacher ist das in der Regel. Gibt es im Freundeskreis oder in der Familie jemanden, die/der im Notfall einspringen kann, ist das natürlich ebenso gut. Hat meine diese Möglichkeit nicht, ist das kein Ausschlusskriterium. Dann aber empfiehlt es sich, entweder monatlich kleine Beträge zurückzulegen oder sich an einen Anbieter von OP-Versicherungen zu wenden. Für einen Hund kostet eine OP-Versicherung monatlich ca. 10 – 15 €. Und das muss drin sein! Auch für Menschen mit geringerem Einkommen. Niemand würde schließlich auf die Idee kommen, sich ein Tier zuzulegen, wenn das Futter absehbar nicht bezahlbar ist. Das Prinzip ist das Gleiche.

Es hat nichts mit Tierliebe zu tun, ein Tier trotz beschränkter finanzieller Möglichkeiten, beispielsweise durch sich verändernde persönliche Umstände, zu behalten. Vor allem dann nicht, wenn sich diese Entwicklung abzeichnet (Beginn eines Studiums, …). Ich bin beinahe geneigt zu sagen, dass das eher in Richtung Egoismus geht. In jedem Falle ist es verantwortungslos und wird, zwangsläufig, auf dem Rücken des (irgendwann möglicherweise) behandlungsbedürftigen Tieres ausgetragen.

Was mich am vorliegenden Falle zudem ärgert, ist der Rückgriff auf das Crowdfunding. Frei nach dem Motto: „Ich habe nicht daran gedacht, also wende ich mich jetzt an Euch und bebildere mein Anliegen mit Fotos von meinem kranken Hund.“ Ist das schon emotionale Erpressung?
Hinzu kommt: es kann immer Situationen geben, in denen sich Tierhalterinnen und Tierhalter unverhofft und unerwartet wiederfinden: das Einkommen, das sonst locker für Tierarztbehandlungen gereicht hat, bricht weg; mehrere finanziell gravierende Probleme kommen zusammen (ein absehbar geringes Einkommen meine ich hier genau nicht); die gebildeten Rücklagen reichen nicht, weil aus einer OP durch unglückliche Umstände drei wurden; …
In diesen Fällen habe ich für Hilferufe via Crowdfunding durchaus Verständnis (und hätte diesen Beitrag nie geschrieben). Nur werden die Adressaten solcher Aufrufe mit jedem Aufruf, der nicht unter diese Kategorie fällt, abgestumpft, sodass für wirkliche finanzielle Notlagen bei Tierhalterinnen und Tierhaltern dann unter Umständen nicht mehr viel übrig ist (an Mitgefühl oder Geld). Und das nur, ich sagte es schon, weil andere nicht vorgesorgt haben.

Ich habe mit Pferden zu tun, seit ich 12 Jahre alt bin (die studienbedingte Unterbrechung mal weggerechnet). Seit einigen Jahren besitze ich selbst ein Pferd. Da sich mein Reiterleben in Pensionsställen abgespielt hat, habe ich leider mehrere Fälle miterleben müssen, in denen Pferde unter genau dieser Verantwortungslosigkeit ihrer Besitzer leiden mussten. Da wurde an einer erkennbaren Sehnenverletzung herumgedoktort, weil ein Tierarzt oder eine Tierärztin zu teuer waren, bis das Pferd dauerhaft lahm ging und schlussendlich eingeschläfert werden musste. Oder es wird ein Pferd mit einer (leicht behandelbaren) Sandkolik noch nicht mal mehr in eine Klinik gefahren sondern gleich eingeschläfert, weil die Behandlung zu teuer ist. Auf physiologisch indizierte Spezialbeschläge wird verzichtet mit dem Ergebnis, dass das betroffene Pferd dauerhaft lahm geht. Zwei, drei Beispiele gibt es noch, nur aus meinem Umfeld. Und all das waren keine Fälle, in denen die Besitzerinnen unerwartet in Finanznot gerieten. Sie sind sehenden Auges in eine solche Situation hineingesteuert.

Tierliebe bedeutet nicht, um jeden Preis ein Tier zu halten, auch wenn eine Trennung emotional fordernd ist (nein, das ist kein Plädoyer dafür, ein Tier in’s Tierheim zu geben; es gibt auch andere Wege). Tierliebe bedeutet, dann die Verantwortung der Tierhaltung einzugehen, wenn man auch in der Lage ist, sie zu tragen. Und zwar vollumfänglich. Sich über diesen vollen Umfang zu informieren und sich diesen auch bewusst zu machen, gehört dazu.

Freitag, 26. Juni 2015

Das unmögliche Alkoholverbot

Der Stadtrat von Görlitz hat gestern eine Änderung der Polizeiverordnung der Stadt Görlitz beschlossen, wonach nun ein örtlich und zeitlich begrenztes Alkoholverbot in Görlitz gilt. Bevor ich zu meiner ganz persönlichen Bewertung des Beschlusses komme, hier erstmal die Fakten, damit Ihr Euch nicht versehentlich ordnungswidrig verhaltet.


Die Fakten 


Von heute an dürfen an vier ausgewiesenen Plätzen in Görlitz von Montag bis Freitag zwischen 07:00 und 18:00 Uhr keine alkoholischen Getränke konsumiert oder mit sich geführt werden, wenn sie denn zum Konsum innerhalb des Geltungsbereich des Verbots gedacht sind. Das Verbot tritt am 25.06.2016 automatisch wieder außer Kraft.
Örtlich begrenzt gilt das Verbot:
  • auf dem Marienplatz einschließlich des Zugangs zum Augustum-Annen-Gymnasium, jedoch ohne die Gehwege vor der Deutschen Bank, dem Naturkundemusem, der Volksbank, dem Görlitzer Fass (das ist schon fast lustig), dem Goldenden Strauß und dem Jugendstilkaufhaus,
  • auf dem Elisabethplatz zwischen Joliot-Curie-Straße und Bismarckstraße/Klosterstraße, jedoch nicht zwischen Bismarckstraße/Klosterstraße und Marienplatz und ebenfalls nicht auf den Gehwegen der umliegenden Wohn- und Geschäftshäuser,
  • auf dem Wilhelmsplatz, jedoch nicht auf dem unbepflanzten Bereich des westlichen Wilhemsplatzes, nicht auf den Gehwegen der umliegenden Wohn- und Geschäftshäuser und nicht im Zugangsbereich des Joliot-Curie-Gymnasiums,
  • auf dem Postplatz innerhalb der neu gestalteten Parkfläche, jedoch nicht auf den Gehwegen der umliegenden Wohn- und Geschäftshäuser und
  • auf dem Demianiplatz / Platz des 17. Juni einschließlich der Kaisertrutz, jedoch nicht auf der Theaterzufahrt nordöstlich des Theaters, nicht auf den Gehwegen der umliegenden Wohn- und Geschäftshäuser und nicht an der Bushaltestelle an der südwestlichen Seite des Demianiplatzes.
Der Beschluss verweist weiterhin auf das Sächsische Polizeigesetz (SächsPolG) und das Ordnungswidrigkeitengesetz (OWiG), die jeweils besagen, dass Ordnungswidrigkeiten mit einer Geldbuße von mindestens 5,00 EUR und höchstens 1000,00 EUR geahndet werden können. Bei fahrlässiger Zuwiderhandlung sind es maximal 500,00 EUR.

Die Beschlussvorlage enthält den Antragstext samt Vortrag (Begründung) und als Anlagen den Entwurf zur Alkoholverbotsverordnung samt Flurkarten, in denen die betroffenen Flächen ausgewiesen sind, einen Auszug aus dem SächsPolG (§9a) und eine Kriminalstatistik, die Straftaten der vergangenen Jahre in den von der Regelung betroffenen Gebieten ausweisen. Weiterhin wurde als Tischvorlage ergänzend eine Stellungnahme des Justiziariats der Stadt Görlitz hinzugefügt.

Eine Begründung ist faktisch nicht vorhanden

Ich zitiere mal aus dem Vortrag:
„Mit der Änderung des Sächsischen Polizeigesetzes im Jahr 2011 wurde eine Ermächtigungsgrundlage zum Erlass von gemeindlichen Polizeiverordnungen für örtlich und zeitlich begrenzte Alkoholverbote auf bestimmten öffentlichen Flächen geschaffen. Nur bei Vorliegen alkoholbedingter Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit oder das Eigentum kann von dieser Norm Gebrauch gemacht werden. Aus der Anlage ist die Kriminalstatistik für die vorgesehenen Bereiche Marien-/Demianiplatz, Elisabethpatz und Wilhelmsplatz ersichtlich.“
Schon diese Argumentation erweist sich, gerade mit einem Blick in die zitierte Kriminalstatistik, als bestenfalls dünn. Zur Verdeutlichung dessen hier auch die angesprochene Statistik (ich habe sie in Excel nachgemalt, weil ich in meiner Vorlage ziemlich derbe rum geschrieben habe):




Die Statistik hat schon methodisch so einige Schwächen. So ist zum einen nicht klar, ob es sich bei den Zahlen um erfasste Delikte oder wirkliche Urteile handelt. Um eine Straftat handelt es sich aber nur, wenn der Täter oder die Täterin dafür verurteilt wird. Alles andere ist nur ein Verdacht. Was hier erfasst wurde, wissen wir nicht, konnte gestern in der Sitzung auch nicht beantwortet werden.
Dann der Passus „kriminalistische Erfahrung“. „Kriminalistische Erfahrung“ hat dazu geführt, dass die NSU-Morde jahrelang als „Milieutaten“ abgestempelt wurden. Andere Fälle „kriminalistischer Erfahrung“, die zu eklatanten kriminalistischen Fehleinschätzungen wurden, gibt es zuhauf. Man muss nicht lange danach suchen. In diesem Falle sagt die „kriminalistische Erfahrung“, dass bei den vorliegenden Straftaten „Alkoholkonsum häufig eine Rolle spielt“. Diese Aussage kann viel bedeuten. Sie kann bedeuten, dass Straftaten unter Alkoholeinfluss begangen wurden oder dass sie alkoholbedingt waren. Darin besteht aber ein wesentlicher Unterschied. Nur weil ich Auto fahre, nachdem ich ein Glas Wein getrunken habe (also unter Alkoholeinfluss), heißt das nicht, dass ich nicht Autofahre, wenn ich nüchtern bin (das wäre alkoholbedingt). Die Formulierung „spielt eine Rolle“ kann beides umfassen. Oder etwas ganz anderes. Auch das konnte in der gestrigen Sitzung nicht beantwortet werden.
Sehen wir uns darüber hinaus einmal die Zahlen an. Für den Bereich Marien-/Demianiplatz sind die Steigerungen in den Einzelkategorien von 2012 auf 2013 sehr wahrscheinlich damit begründet, dass (siehe Anmerkungen) der Demianiplatz erst ab 2013 erfasst wurde. Weiterhin wurden Sachbeschädigungen (ebenfalls in den Anmerkungen) erst 2014 erfasst, vorher allerdings nicht. Rechnen wir also in 2014 die Sachbeschädigungen heraus, um vergleichbare Zahlen zu erhalten, dann sieht man, dass es keine Steigerung der Kriminalitätsrate anhand der vorliegenden Zahlen tatsächlich nachweisbar ist.
  • Marien-/Demianiplatz: 2012 waren es 21 Fälle insgesamt, allerdings ohne Erfassung des großen Demianiplatz. Im Jahr 2013 waren es 30 Fälle (ohne die da noch nicht erfassten Sachbeschädigungen). Im Jahr 2014 waren es ohne Sachbeschädigungen auch 30 Fälle. Folglich keine Steigerung.
  • Elisabethstraße: 17 Fälle in 2012 und 2013 und (wiederum ohne die Sachbeschädigungen) 15 Fälle in 2014. Hier ein leichter Rückgang (der aber statistisch nicht relevant sein dürfte).
  • Wilhelmsplatz: 19 Fälle in 2012 und 2013 und lediglich 7 Fälle in 2014 (wiederum ohne die in den Jahren zuvor auch nicht erfassten Sachbeschädigungen). Hier ist ein klarer Rückgang zu verzeichnen.
An der Interpretation der Tabelle scheiterten in der gestrigen Stadtratssitzung allerdings einige. So auch der Landtagsabgeordnete Octavian Ursu, der trotz mehrfacher Hinweise immer wieder die Position vertrat, dass doch „45 mehr als 30“ seien und die Zahlen in der Summe doch ganz klar „gestiegen“ wären. Ist ja auch klar: wenn ich im Obstregal nun nicht nur die Äpfel und Birnen zähle, sondern auch die Kiwis dazu nehme, wird es gefühlt mehr Obst (unabhängig davon, ob die Kiwis nicht auch vorher schon dort gewesen sind). Das macht die Aussage steigender Kriminalität auf diesen Plätzen aber nicht valider. Im Gegenteil.
Die Zahlen sagen auch nicht aus, ob eventuell alkoholbedingte Straftaten tatsächlich aufgrund von Alkohol begangen wurden, der dort auch konsumiert wurde. Man kann auch woanders trinken und dann Menschen belästigen, die durch diese Verordnung geschützt werden sollen.

Geltendes Recht ist vorhanden, es muss nur angewandt werden

Im Vortrag wird ausgeführt, dass Alkoholverbote nur bei Vorliegen alkoholbedingter Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit oder das Eigentum ausgesprochen werden können. Das mit der Alkoholbedingtheit hatten wir ja schon. Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit oder das Eigentum sind aber auch jetzt schon strafrechtlich relevant und müssen auch ohne Anzeige durch einen Betroffenen durch Sicherheitsbehörden verfolgt werden. Die Nummer mit den Straftaten gegen Leib, Leben und Eigentum ist also schon durch bereits geltendes Recht abgedeckt, muss also nicht neu geregelt werden. Das führt mich auch zu einer weiteren Rechtsnorm, die bereits gültig ist: die Polizeiverordnung der Stadt Görlitz. Die besagt nämlich auch jetzt schon, dass bestimmtes unerwünschtes Verhalten (so auch Belästigungen durch aufdringliches oder aggressives Verhalten, beispielsweise nach Genuss von Alkohol; …) verboten ist. Diese Verordnung besteht und müsste nur konsequent durchgesetzt werden.
Der Oberbürgermeister argumentiert, dass er mit einem Alkoholverbot Menschen, die sich unerwünscht verhalten, von den betroffenen Plätzen fernhält und damit davon abhält, sich ordnungswidrig zu verhalten. Meinem Eindruck nach übersieht er aber dabei, dass er diese Menschen nun schon viel eher in ordnungswidriges Verhalten zwängt (allein durch Präsenz, aktives Handeln ist nun nicht mehr nötig).

Wenn Biertrinken zum zivilen Ungehorsam wird

Ich sprach davon, dass als Tischvorlage eine Einschätzung des Justiziariats der Stadt Görlitz ausgegeben wurde. Deren Kernaussagen sind Folgende (Zitat):
  1. Ein Stadtratsbeschluss über die hier gegenständliche Polizeiverordnung wäre nach Auffassung des Justiziariats von §9a SächsPolG nicht gedeckt.
  2. Fraglich ist aber, ob diese spezialgesetzliche Rechtsgrundlage zum Erlass kommunaler Alkoholverbote nach §9a SächsPolG nicht zu eng gefasst ist.
Heißt zusammengefasst: Unser Beschluss ist erkennbar rechtswidrig, aber das Gesetz, gegen das wir verstoßen, gefällt uns nicht. Nunja. Ein Gesetz muss nicht gefallen. Und es gibt nicht umsonst Wege, Gesetze zu ändern. Solange ein Gesetz nicht geändert wurde, ist es aber genau das: ein Gesetz. Ein Gesetz, gegen das die Stadt Görlitz nach Einschätzung ihres eigenen Justiziariats verstößt. Wissentlich. Nicht nur, dass das aus Perspektive der Kommunalaufsicht fast dadaistische Züge annimmt, finde ich es schon ein wenig vermessen, als Stadtrat eine solche Vorlage zur Abstimmung vorgelegt zu bekommen. Man kann es aber auch positiv sehen: Biertrinken wird nun zeitweilig zu einer Form zivilen Ungehorsams.

Sicherheitsesoterik und die Freiheitsrechte

Soviel zu den argumentativen Defiziten der Vorlage. Zusammengefasst kann ich für mich nur feststellen, dass die Vorlage schlichtweg unbegründet ist. Sie legt in keiner Weise dar, dass das geforderte Instrument dazu geeignet ist, das angestrebte Ziel zu erreichen. Natürlich wurde in der Debatte (und natürlich von der CDU) das Argument der Erhöhung der Sicherheit in der Stadt angeführt. Nur konnte Octavian Ursu (der Musiker) mir (der Sicherheitsingenieurin) nicht im Ansatz erklären, wie dieser Zugewinn an Sicherheit zustande kommen soll (wir erinnern uns: die vorgelegte Statistik ist als Datengrundlage für eine solche Interpretation absolut nicht geeignet). Nur wenn es eine Korrelation zwischen Straftätern und Alkoholkonsum gibt, lässt sich durch ein Verbot von Alkoholkonsum eine statistisch nachweisbare Reduzierung von Straftaten herbeiführen. Das also als Argumentationsgrundlage annehmen, stempelt automatisch jeden Alkoholkonsumenten zum Straftäter. Ist das so? Wird jeder, der Alkohol konsumiert, automatisch straffällig? Im Umkehrschluss: Werden Menschen nicht straffällig, wenn sie keinen Alkohol konsumieren? Das ist argumentative Esoterik.
In einem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg aus dem Jahr 2009 heißt es in einem ähnlich gelagerten Fall (Alkoholverbot zur Verbrechensprävention in Freiburg): Eine selbst geringfügige Einschränkung von Freiheitsrechten durch eine Verordnung sei nur erlaubt, „wenn typischerweise von jedem Normadressaten auch eine Gefahr ausgeht.“ Aber nicht jeder, der trinkt, ist automatisch gewaltbereit.

Gastronomie?

Ich bin jetzt soweit, dass ich in meiner Argumentation an einen Punkt stoße, an dem ich selbst verwirrt bin. Laut der Diskussion im Stadtrat und Aussagen des Oberbürgermeisters mir gegenüber im Vorlauf der Sitzung sind Gastronomieeinrichtungen von dem Alkoholverbot ausgenommen. Explizit genannt sind sie in der Verordnung nicht. Die Verordnung gibt es aber her, dass Ausnahmen zugelassen werden. Sollte das der Fall sein, was der Tenor der Debatte am gestrigen Abend war, stellt das eine Ungleichbehandlung nach Einkommen dar. Diejenigen, die sich den Alkoholkonsum in den Ausschankbereich der ansässigen Gastronomiebetriebe leisten können, dürfen weiter saufen, obwohl sie doch, der Linie der Argumentation der Stadtverwaltung folgend, damit zu Gefährdern würden. Nur diejenigen, die das Geld dafür nicht haben (oder nicht ausgeben wollen), werden sanktioniert.

Die Freiheit des Einzelnen

Ein weiteres Argument in der Reihe der „gefühlten Wahrheiten“ (Phrasen wie „die Mehrheit“, „die Masse“ und „die Leute“ wurden gestern sehr oft bemüht, freilich ohne Belege) sind Aussagen, dass sich viele Bürgerinnen und Bürger allein durch die Anwesenheit alkoholkonsumierender Menschen gestört fühlen. Ich möchte hier nicht in Zweifel ziehen, dass es Menschen gibt, die sich daran stören. Ob das viele sind, sei dahin gestellt. Und stören allein ist keine Rechtfertigung für ein Verbot. Herr Neumann-Nochten hat gestern ein sehr schönes Argument gebracht, das sinngemäß so lautete: „Wenn wir anfangen, Alkoholkonsum in der Öffentlichkeit zu verbieten, weil es das Auge beleidigt, was finden wir dann als nächstes, das das Auge beleidigt und deshalb verboten werden soll.“
Alkohol in der Öffentlichkeit zu trinken ist das Recht eines jeden Menschen. Genauso wie eine ganze Menge anderer Sachen. Dieses Recht einzuschränken bedarf einer guten, einer wirklich guten Begründung. Diese Begründung kann nur in einer belegbaren Einschränkung schutzwürdiger Interessen anderer liegen. Ungestörtheit im öffentlichen Raum ist aber kein schutzwürdiges Interesse. Die Unversehrtheit von Leib und Leben schon. Die wird aber nicht zwangsläufig und alleinig bedroht durch den Alkoholkonsum anderer. Natürlich kann Alkohol zu Unfällen und Verbrechen führen. Aber Unfälle und Verbrechen geschehen auch ohne Alkohol. Und wenn ich Alkohol trinke, kann ich auch ganz einfach auf einer Bank sitzen, mich am Leben erfreuen und danach freundlich grüßend aufstehen und meiner Wege gehen. Ehrlich


Nachtrag: Die fragliche Beschlussvorlage trägt die Nummer STR/135/14-19. Sie wurde nur von OB Deinege, jedoch weder vom Beigeordneten Dr. Wieler noch vom Amtsleiter unterzeichnet.

Freitag, 5. Dezember 2014

Refugees Welcome: Spenden für das Willkommensbündnis Görlitz

Die Stadt Görlitz wird in Kürze eine Reihe von Flüchtlingen aufnehmen. Insgesamt werden 250 Personen (ausschließlich Familien; Anteil an Kindern ca. 60%) in der Stadt dezentral untergebracht und sollen umfänglich unterstützt werden.

Um die notorisch geringen Kapazitäten des Landkreises Görlitz auszugleichen und den Flüchtlingen ein schnelles Einleben zu ermöglichen, hat sich aus einer Vielzahl gesellschaftlicher Gruppen und Einzelpersonen ein Willkommensbündnis gebildet. Von praktischer Lebenshilfe über Willkommensgeschenke bis hin zur Öffentlichkeitsarbeit wird dort sehr viel für die Flüchtlinge auf die Beine gestellt.

Für seine Arbeit braucht dieses Bündnis allerdings noch Unterstützung. Ein Spendenkonto bei der Stadt Görlitz ist eingerichtet und wartet darauf, gefüllt zu werden. :)
Stadt Görlitz
Sparkasse Oberlausitz/Niederschlesien
IBAN: DE92 8505 0100 0234 9050 00
BIC: WELADED1GRL
Betreff : Willkommensbündnis Görlitz

Wer gerne eine Spendenbescheinigung haben möchte, möchte bitte seine Adresse mit nennen im Betreff bzw. die Spendendaten an: willkommenbuendnis@goerlitz.de schicken.

Dienstag, 14. Oktober 2014

Replik zu einem Heise-Kommentar zum #Gamergate

Dieser Blogpost ist eine Replik auf Fabian Scherschel, der vor einigen Tagen einen ziemlich unsäglichen Kommentar zum #Gamergat auf heise.de publiziert hat. Zu finden ist das zweifelhafte Machwerk hier. Mir ist bewusst, dass er nicht mehr ganz aktuell ist. Der Umstand, dass er mich trotzdem noch beschäftigt, macht hoffentlich deutlich, wie sehr ich mich darüber ärgere.





Lieber  Fabian Scherschel,

gestern habe ich Ihren Kommentar zum #Gamergate gelesen und noch heute rege ich mich derart darüber auf, dass ich mich sogar dazu hinreißen lasse, eine Replik zu schreiben.
Mehrere Punkte Ihres Beitrags sind mir bei der Lektüre sehr sauer aufgestoßen.

Zuerst einmal: Probleme gegeneinander ausspielen ist eine ziemlich armselige Taktik. Ein „haben wir keine wichtigeren Probleme?“ ist keine Argumentation sondern ein Totschlag. Dem Schema folgend dürften wir, solange Menschen durch Gewalt oder an Hunger sterben, weniger existenzielle Probleme wie Massenüberwachung oder Bürgerrechtseinschränkungen durch diverse Anläufe zu Freihandelsabkommen nicht thematisieren. Es gibt ja „Wichtigeres“. (An der Stelle sei die Frage gestattet, ob Sie heise.de denn bitte abschalten, solange noch Kinder mit aufgeblähten Bäuchen an Unterernährung verrecken oder Menschen in ihren Häusern von ferngelenkten Raketen getötet werden?)

Beinahe putzig finde ich Ihre Trennung zwischen „Spiel“ und „Realität“. Erinnert mich ein bisschen an politische Spezialexperten, die das Netz und alles, was sich hinter einem Bildschirm abspielt, als völlig abgekoppelt von der „realen Welt“ empfinden. Videospiele sind aber keine merkwürdige Parallelwelt, die irgendwo im leeren Raum herumdümpelt, ohne jeden Bezug zur „realen Welt“. Sie sind ein Spiegel unserer Gesellschaft. Und Sexismus ist ein reales Problem eben dieser Gesellschaft. Und solange das so ist (was Sie, wenn ich Sie richtig verstehe, auch nicht bestreiten), solange sollte mit den Botschaften, die von so einflussreichen Medien wie Videospielen ausgehen, sehr vorsichtig umgegangen werden.
Der Vergleich von Sexismus mit gesellschaftlich geächtetem Verhalten wie die von Ihnen angesprochenen Beispiele Gewalt (die Sie offenbar nur als körperliche Gewalt begreifen, was wiederum auch eine sehr eingeschränkte Sicht der Dinge ist) und Vergewaltigungen greift überdies entschieden zu kurz. Es gibt nicht nur einen breiten Konsens darüber, dass es Scheiße ist, Menschen mit Schwertern zu erschlagen oder sexuell zu missbrauchen. Es ist darüber hinaus sogar strafrechtlich relevant. Es ist tief in unserer Moralvorstellung verhaftet, dass diese Dinge nicht akzeptabel sind, weil sie anderen Menschen unermesslichen Schaden zufügen. Diese Einsicht sehe ich bei geschlechterbezogener Benachteiligung allerdings noch lange nicht. Weder gibt es einen breiten gesellschaftlichen Konsens, dass Sexismus geächtet und ausgemerzt gehört, noch wird er durch irgendein wirksames Instrument auch nur ansatzweise sanktioniert.
Wie dämlich diese Argumentation im Ganzen ist, demonstrieren Sie aber zum Glück auch selbst mit den Worten "In der Realität töte ich ja auch keine Drachen". Leider zeigen Sie damit auch in aller Deutlichkeit, wie wenig ernst Sie das ganze Problem nehmen.

Sexismus ist ein Problem, dass durch die Medien, die die Mitglieder unserer Gesellschaft konsumieren, beeinflusst wird. Und Videospiele sind sehr einflussreiche Medien geworden. Ist es tatsächlich „nicht so schlimm“, dass ein so überkommenes Weltbild durch sexistische Videospiele weiter befördert werden soll?


Beste Grüße,
Caro Mahn-Gauseweg aka @688i
(zockt auch gerne Skyrim)

Montag, 29. September 2014

Ich und meine BahnCard - eine Abrechnung

Vorweg: Es geht in diesem Post um Geld. Mir ist klar, dass jeden Tag jede Menge Piraten jede Menge privates Geld in die Parteiarbeit stecken. Das tue ich über den im Folgenden genannten Sachverhalt hinaus auch. Darum geht es hier aber nicht.


Der Rücktritt der drei Vorstandsmitglieder Stephanie Schmiedke, Stefan Bartels und Björn Semrau  kosten mich privat ca. 1000 €. How come?

Zu Beginn der Amtszeit des in Bremen gewählten Bundesvorstandes stand relativ früh die Frage im Raum, ob es nicht sinnvoll ist, eine BahnCard 100 für mich zu beschaffen. Mein Amt (und mein Verständnis von dessen Ausübung) bedingten einen hohen Reiseaufwand. Darüber hinaus wohne ich (wir erinnern uns: Görlitz) weder besonders zentral noch besonders gut an Flughäfen (für längere Strecken) angebunden. PKW-Fahrten schien mnir für längere Strecken aus diversen Gründen auch nicht besonders geeignet (lange Lenkzeiten, Umweltschutz, überschrittene Inklusivkilometer bei der Fahrzeugfinanzierung). Bahnreisen war deshalb die aus meiner Sicht sinnvollste Variante. Aufgrund der regelmäßig langen Fahrtstrecken war es aus meiner Sicht auch sinnvoll, gleich eine BC100 zu kaufen. Das schien preislich vorteilhaft (was es faktisch auch gewesen wäre, dazu aber später).
Von seiten der Partei wurde mir sehr schnell deutlich gemacht, dass eine Beschaffung durch die Partei nicht gewünscht ist. Das bedingte einen gewissen Aufwand an Rechtfertigung für zu erwartende Aufwände. Wäre viel Arbeit gewesen, war teilweise auch schwer einschätzbar. Als Alternative wurde mir angeboten, einen Reisekostenvorschuss in Anspruch zu nehmen und den über die Reisekostenabrechnungen für Bahn- und ÖPNV-Fahrten wieder abzustottern. Das bedeutete ein privates Risiko, das mir aus der damaligen Perspektive allerdings tragbar erschien. So habe ich das dann auch gemacht und bin seit Mitte Januar 2014 mit BahnCard100 unterwegs gewesen.

Soweit so gut.

Bis ziemlich genau zum 16. März. An dem Tag sind drei von sieben Vorstandsmitgliedern zurückgetreten und für den Rest von uns begann eine anstrengende und teilweise sehr unangenehme Zeit. Auch die Erfahrungen während dieser #kBuVo-Phase haben mich dazu bewogen, in Halle nicht wieder anzutreten. Das alles hätte für sich genommen einigermaßen schadlos vonstatten gehen können.

Wäre da nicht noch die BahnCard100 gewesen.

Für das Verhältnis: Bis Ende Juni 2014 hatte ich von den 4090,- Kaufpreis etwa 3000,- verfahren. Grundsätzlich hatte sich die BahnCard also definitiv gerechnet. Bei einer normalen (also ca. einjährigen) Amtszeit hätte ich ab August oder September dann den Kaufbetrag amortisiert und regelmäßig ordentlich Fahrtkosten zurückspenden können. Aber es war nicht normal; ich bin rausgegangen aus dem Amt mit mehreren Hundert Euro, die eben nicht verfahren sondern noch offen waren.
Nun habe ich für meine Dienstreisen nicht nur Bahnfahrten sondern auch Hotelübernachtungen und einmal auch eine Autofahrt genutzt (dazu so Sachen wie Verpflegung etc). Die Kosten dafür habe ich privat ausgelegt (der RK-Vorschuss war ja schon ausgegeben). Diese Auslagen wollte ich nach der BuVo-Zeit nun via Abrechnung wieder erstattet bekommen...
Es bedarf keiner großen Denkleistung zu erkennen, was eine aus Sicht der Schatzmeister sinnvolle Variante ist: Verrechnung der Auslagen mit dem RK-Vorschuss. Was buchhalterisch richtig sein mag, ist für mich gerade sehr, sehr unangenehm. Mir fehlen die Auslagen in meiner privaten Kasse. Den RK-Vorschuss kann ich praktischerweise nicht gegenrechnen (wie das die Schatzmeister auf geduldigem Papier tun), weil ich von der (für mich nach Ende der Amtszeit faktisch nutzlosen) BC100 keine Rechnungen oder andere Ausgaben begleichen kann, die zu meinem täglichen Leben gehören. Kurz: Das Geld fehlt mir gerade. Und ich kann den Betrag auch nicht "mal eben" zurückzahlen.

Ich habe das finanzielle Risiko privat übernommen, weil ich die Regelung für die Partei und mich vorteilhaft fand. Was ich mir freilich nie habe ausmalen können, ist,  dass so etwas wie ein konzertierter Rücktritt passieren würde. Die Konsequenzen muss ich jetzt tragen. Das stelle ich im Prinzip auch nicht in Frage; ist halt einfach richtig dumm gelaufen. Angesichts des für die Partei übernommenen finanziellen Risikos würde ich mir allerdings wünschen, dass die Rückzahlung nicht nach dem "ich pfände mal eben Deine Auslagen, auch wenn der RK-Vorschuss eigentlich für was anderes gedacht war"-Prinzip erfolgt. Ich empfinde das, offen gestanden, als ziemlich unfair.
Weiterhin wünsche ich mir, dass künftig Regelungen gefunden werden, damit andere Amts- und Funktionsträger nicht unverschuldet in eine ähnliche Situation kommen.

Mittwoch, 25. Juni 2014

Was ich noch sagen wollte



 Meine Zeit im Bundesvorstand geht in ein paar Tagen zu Ende. Das ist zum einen schade, weil ich gern so viel mehr noch gemacht hätte und auch, weil ich eigentlich angetreten war, um für ein Jahr Verantwortung zu tragen. Andererseits gebe ich unumwunden zu, dass ich nach den für mich sehr anstrengenden letzten Monaten auch froh bin, Amt und Aufgaben geordnet an unsere Nachfolger übergeben zu können. Ja, ich bin ein bisschen fertig.


Ich habe im Rahmen meiner Amtszeit eine ganze Menge Leute (besser) kennengelernt, als mir das auf anderem Wege je gelungen wäre. Und bis auf ganz2 wenige Ausnahmen waren das auch schöne und angenehme Bekanntschaften und Kooperationen. Eine ganze Anzahl von Piraten, die mir vorher nie aufgefallen sind, hat mich auch schwer beeindruckt.
Wir haben in den letzten Monaten viel durchgemacht; sowohl als Partei als auch als Gremium. Ich hätte mir durchaus gewünscht, dass die ganze Vorstandsarbeit reibungsloser und erfolgreicher verlaufen wäre. Lässt sich aber nunmal nicht ändern und schließlich hat auch das seine positive Seite: Ich habe eine Menge gelernt; wahrscheinlich mehr als in einer „einfachen Amtszeit“.
Für all das möchte ich mich bei Euch herzlich und gänzlich ironiefrei bedanken. Und dafür, dass ich die Chance hatte, das mitzumachen.


Ja, ich weiß, es gab eine Menge Kritik an uns. Viel  davon war inhaltlich vom jeweiligen Standpunt aus berechtigt. Manchmal hätte ich mir mehr Verständnis dafür gewünscht, dass eine Sachlage aus Vorstandssicht immer etwas anders aussieht als aus der individuellen Basis-Piraten-Perspektive (und das ist keinesfalls despektierlich gemeint). Das zu kommunizieren ist nicht immer so einfach, wie es klingt. Fraglos aber hätte da das eine oder andere besser laufen können.
Es gibt so einige Punkte, die ich aus der Retrospektive anders bewerte als zu dem Zeitpunkt, als sie auf dem Tisch lagen. Ich behaupte von mir, dass ich versucht habe, vernünftige und für möglichst Viele nutzbringende Entscheidungen zu treffen. Ich kann aber ehrlicherweise leider nicht behaupten, dass diese Versuche immer erfolgreich waren. Ja, rückblickend würde ich ein paar Dinge anders machen, als sie tatsächlich gelaufen sind. Hinterher ist man immer schlauer. Leider nicht eher, auch wenn ich das sehr bedauere.


Ich wünsche Euch und uns Alles Gute (nein, das ist kein Abschied; außer vielleicht in einen Urlaub). Ich wünsche dem neuen BuVo mehr Erfolg, als uns beschieden war. Wir als Partei haben das dringend nötig.
Sollte es gewünscht sein, stehe ich für Fragen und Hilfe gerne zur Verfügung. Wenn nicht, gehe ich reiten. ;)


Vielleicht sehe ich ein paar von Euch am Wochenende, andere vielleicht später! Macht’s gut bis dahin!

So long,
Caro
unter anderem kürzeste Bundes-Vize aller Zeiten (kBVaZ)

Mittwoch, 4. Juni 2014

Ideologien und warum ich bei der Etikettierung der PIRATEN nichts davon halte




 Vorbemerkung 1: Dieser Text fußt im Wesentlichen auf einem Argumentationsstrang von CeCe, den aufzunehmen ich mir einfach mal anmaße.
Vorbemerkung 2: Wenn ich das Wort „Ideologie“ aufnehme, dann meine ich klassische politische Ideologien wie „links“, „liberal“, „sozialistisch“ und so weiter. Mir ist durchaus klar, dass die Gesamtheit meiner politischen Überzeugungen auch eine Ideologie darstellen kann, aber auf diese philosophische Ebene will ich die Debatte nicht führen. Sie ginge am Kern meines Anliegens vorbei.
Vorbemerkung 3: Dieser Text ist im Grunde eine ausführlichere Version dieses Tweets


Ich kann mich mit der Bezeichnung „sozialliberal“, die sich eine Reihe von PIRATEN, formal oder informell, gegeben haben, nicht anfreunden. Genauso wenig wie ich mich mit „links“, „linksliberal“ oder anderen Labels anfreunden kann. Und das hat grundsätzliche Gründe.

Der erste ist methodischer Natur: einer so grundlegenden weil für die Partei definitorischen Festlegung hätte eine umfassende Debatte vorausgehen müssen. Das aber ist nicht passiert. Stattdessen vermittelte die Festlegung den Eindruck eines Schnellschusses, einer Abwehrreaktion auf eine missglückte Aktion bzw. den gefühlten Verlust der Deutungshoheit über die grundsätzliche Ausrichtung der Partei. Ob diese Befürchtung berechtigt ist oder nicht, will ich hier nicht beurteilen. Darüber habe ich mir keine abschließende Meinung gebildet. Dass diese Befürchtung da ist und einer Auseinandersetzung bedarf, steht außer Frage. Sie allein rechtfertigt allerdings nicht eine in meinen Augen vorschnelle Festlegung auf eine Ideologie, von der viele noch nicht einmal in Gänze wissen, was inhaltlich dahinter steht. Was mir gefehlt hat, war eine fundierte Diskussion, begleitet von Bildungsangeboten, um in der Argumentation über Wikipedia-Definitionen hinauszukommen. Das aber hat nicht stattgefunden. Und jede Entscheidung, die auf derart dünnen Beinen steht, stelle ich qualitativ grundsätzlich infrage.

Der zweite Grund ist, tatsächlich, pragmatisch. Ich hänge keiner speziellen Ideologie an und genau dieses Denken hat mir die PIRATEN so sympathisch gemacht. Positionen werden nicht gefasst, weil sie „links“ sind und man sich als „links“ definiert. Positionen werden (ich hoffe nicht, dass sie „wurden“) gefasst, weil sie im aktuellen gesellschaftlichen Kontext und vor dem Hintergrund unseres Anspruches auf Partizipation, auf den Schutz von Grundrechten und eine sinnvolle (keine dogmatische) Transparenz sinnvoll und richtig erscheinen. Diese Positionen können „links“ sein. Sie können auch autoritäre Züge haben, wenn es beispielsweise darum geht, Strafen für Abgeordnetenbestechung zu verschärfen. Sie können auch ganz andere Züge annehmen; liberal, konservativ, sozialistisch.
Wir schreiben uns auf die Fahnen, sachorientierte Politik machen zu wollen. Wir propagieren wechselnde Mehrheiten und Zweckkoalitionen. Und dann wollen wir uns einer politischen Ideologie unterwerfen? Ist das nur für mich ein Widerspruch?

Ich lehne das Label „sozialliberal“ nicht ab, weil ich etwas gegen Sozialliberalismus habe oder weil ich die Grundüberzeugungen der nordrhein-westfälischen PIRATEN nicht teile. Eher das Gegenteil ist der Fall. Ich lehne das Label ab, weil ich ideologische Grundausrichtungen für nicht vereinbar mit meinem Verständnis von Politik halte. Ich will niemals in die Situation kommen, in der ich sage „wir müssen diese Position jetzt nehmen, weil die sozialliberal ist“, auch wenn mir eine andere Position viel sinnvoller erscheint. Diese Gefahr sehe ich bei jeder Art von politisch-ideologischer Festlegung; egal in welche Richtung sie erfolgt. Und deshalb kann ich mich damit auch nicht anfreunden.


Montag, 3. März 2014

Persönliches zur Wertedebatte

Vorbemerkung: Der folgende Text ist eine persönliche Einschätzung der aktuellen Situation der Partei und eine Sammlung von Ideen zu deren Lösung. 


Das Problem
 Wir wissen es nicht erst seit dem #Fahnengate und spätestens mit dem #Bombergate dürfte die Erkenntnis auch den letzten Piraten mit der Macht des Faktischen erschlagen haben: Wir haben einen innerparteilichen Konflikt, der über die konkreten Anlässe seiner Explosion (immerhin schon zweimal allein in diesem Jahr) weit hinaus reicht. Wir können das Richtungsstreit nennen, mir gefällt der Begriff Wertedebatte allerdings besser; nicht, weil ich dem Wort „Streit“ ausweichen will sondern weil ich denke, dass es hier darum geht, die Werte zu identifizieren, die wir wirklich gemeinsam haben, und darauf eine Basis gemeinsamen Arbeitens zu formen. Die gab es mal, leider ist sie entweder nicht mehr hinreichend klar erkennbar. Oder es haben sich ihr Alternativen hinzugesellt. Die Deutung darüber, was nun eigentlich unsere gemeinsame Basis ist, ist die Aufgabe der nächsten Monate. Wir müssen über unsere gemeinsamen Grundwerte diskutieren; nicht über das, was uns trennt (Richtungen).

Die Piratenpartei hat sich gegründet um die Themen Netzpolitik und Grundrechtsschutz. Den Piraten ging es darum, die Entwicklungen des digitalen Zeitalters zu begleiten, die darin innewohnenden kleinen und großen Chancen einer breiten Masse (auch politischen Entscheidungsträgern) nahezubringen und Missbrauch der Infrastrukturen der digitalen Gesellschaft aufzudecken und zu verhindern. Ich wage die (gar nicht so steile) These, dass dieses Ziel der Grund war, warum die Mehrheit der Piraten überhaupt Piraten geworden sind. Und ich wage die Theorie, dass wir uns darauf auch alle einigen können. Das digitale Zeitalter ist unser Habitat. Und das wollen wir so nutzbringend wie möglich gestalten.
Ich halte das auch weiterhin für unseren Grundkonsens, unseren Wertekanon. Leider ist der unter vielen anderen Themen derzeit nur unzureichend erkennbar.

Aktuell wird gerne das Argument bemüht, dass man doch nur in unser Programm sehen müsse um zu erkennen, dass wir eine (in der klassischen Einordnung) linke Partei seien. Meistens geht dieses Argument einher mit der sanften Aufforderung an mich als Adressaten, doch endlich einmal diese Realität zu erkennen und zu akzeptieren. Das werde ich so in der Form nicht tun, denn ich halte das nur für die halbe Wahrheit.
Das Problem ist, dass wir unseren Grundkonsens nie diskutieren. Wir brauchen uns nicht über etwas zu unterhalten, über das wir uns einig sing. Deshalb tun wir es auch nicht. Erst recht nicht auf Parteitagen. Und deshalb landet dieser Grundkonsens auch so selten tatsächlich niedergeschrieben im Programm. Das kann man „den ganzen Liberalen“ anlasten, die „es in den letzten Jahren nicht geschafft haben, Programmanträge einzureichen und durchzubringen“. Das ist allerdings genauso kurz gesprungen wie die „Linkes Programm“-Argumentation.
Und nicht nur, dass eine solche Argumentation zu kurz greift. Sie ist auch gefährlich. Denn sie führt dazu, dass die Arbeit am Programm nicht zu einem gemeinschaftlichen Werk sondern zu einem Kampf um (programmatische) Deutungshoheit wird. Und das kann es eigentlich nicht sein.


Lösungsansätze
 Wir müssen die Wertedebatte führen. Das steht außer Frage. Die eigentliche Frage ist eher, wie wir sie führen. Und welche begleitenden Maßnahmen wir dazu in die Spur bringen.

Sinnvoll erscheint mir alleinig ein Ansatz (und hier ein Dank an Jens Ballerstädt für die zahlreichen und langen Gespräche über genau dieses Thema): wir müssen herauskehren, was uns eint. Was uns trennt, bekommen wir derzeit täglich exemplarisch vor Augen geführt. Das herauszuarbeiten wird die Gräben nur vertiefen und den Kampf um die Deutungshoheit über das Programm zum Kampf um die Partei selbst machen. Mit allen Konsequenzen. Mir ist es das nicht wert. Dafür hänge ich zu sehr an dieser Partei, an ihren Mitgliedern und an ihren Kernthemen. Dafür ist das, was sich die Partei auf die Fahnen geschrieben hat (ich erwähnte es oben schon), einfach zu wichtig.
Zielsetzung der anstehenden Debatte muss es also sein, diese Gemeinsamkeiten, hinter die sich möglichst jeder Pirat stellen kann, zu definieren und aufzuschreiben. Herauskommen muss ein beschlussfähiger Text (beispielsweise ein komplett überarbeitetes Grundsatzprogramm), der dann durch einen Bundesparteitag (oder beispielsweise auch den Basisentscheid – wäre eine wirklich würdige Premiere) auch abgestimmt wird.
Wichtig für diese Debatte ist es dann allerdings auch zu erkennen und zu akzeptieren, dass es Positionen geben kann (und wird), die in dem zu entwickelnden Konsens nicht mehr zu finden sind. Das bedeutet nicht, dass diese Positionen nicht mehr mit unserem Wertekanon vereinbar sind. Das bedeutet lediglich, dass unsere Schwerpunktsetzung (neben der Themenauswahl der zweite wichtige Aspekt der Konsensentwicklung) anders liegt. Ein (zugegebenermaßen im derzeitigen Kontext etwas gewagtes) Beispiel: Auch unter dem Label „Kampf für Menschenrechte“ kann ich gegen rechts auf die Straße gehen; dafür bedarf es keiner ausformulierten 3seitigen antifaschistischen Position. Ein weiteres Beispiel: Unter dem Label „Gleichberechtigung und Partizipation“ kann ich mich für Feminismus und auch für das BGE einsetzen, ohne 5 Seiten sozialpolitische Abhandlungen im Programm stehen zu haben.

Einleitend für diese Wertedebatte ist es wichtig, dass jeder für sich definiert, was die Piratenpartei in seinen Augen ist. Einige werden vielleicht sagen „Das ist doch klar“. Ich glaube allerdings, dass es das nicht wirklich ist. Ein kleines Experiment kann helfen, das herauszufinden (und gleichzeitig anderen Piraten die eigene Sicht der Dinge deutlich zu machen): Versucht in wenigen Sätzen, Ziel und Markenkern der Piraten zu formulieren. Zeichnet es auf (also Podcast oder Video) oder schreibt es auf (gewissermaßen „Die Piratenpartei in 100 Worten erklärt“). Mir persönlich ist dieses Statement tatsächlich nicht leicht gefallen und ich vermute, dass es nicht nur mir so geht. Als Reflektion der eigenen Position und damit als Debatteneinstieg erscheint mir das deshalb durchaus überdenkenswert.

Begleitend zur Debatte wünsche ich mich mir zudem eine breite politikwissenschaftliche Aufklärung über die Begriffe zur Einordnung ins politische Spektrum, die derzeit so ambitioniert (und teilweise nur zur Hälfte reflektiert) hin und her diskutiert werden. Was ist „liberal“? Was ist „sozial-liberal“? Was ist „links“? Ich habe nicht nur bei mir gewisse Defizite festgestellt, was das Wissen über diese Begriffe angeht. Mir geht es mit dieser Idee nicht darum, der Piratenpartei zwingend ein solches Label zu geben (ich kann sowohl mit als auch ohne leben). Mir geht es darum, die Debatte auch als Chance zu nutzen, uns selbst zu bilden und mit mehr aus ihr herauszugehen, als „nur“ einer Position. Diese Debatte birgt mehr als nur eine Chance für uns, die müssen wir nur sehen und ergreifen können.


Was noch zu sagen ist
 Diese Debatte kann nur geführt werden, wenn sie nicht als Wettkampf verstanden und beständig weiter angeheizt wird. Hier geht es nicht um Anne, um brennende Fluggeräte oder um Fahnen (so wichtig diese Probleme sind, sie sind in diesem Kontext Symptome). Hier geht es um die Essenz unserer Partei. Es ist wichtig, dass sich möglichst viele Piraten daran beteiligen. Es ist genauso wichtig, dass die Piraten, die weiterhin politisch und wahlkämpferisch arbeiten wollen, die Ruhe und Motivation dafür haben und nicht durch kontinuierliches Gebashe auf Twitter davon abgehalten oder frustriert werden. Die erste große Herausforderung wird es sein, ob wir in der Lage sind, ein Klima konstruktiver Diskussion überhaupt herzustellen. Wenn das nicht gelingt, brauchen wir unsere politische Arbeit, ob kurz-, mittel- oder langfristig, nicht fortsetzen.