Freitag, 17. Juli 2009

Der lange Schatten des Hartmut Mehdorn

Vor einigen Tagen habe ich am S-Bahnhof Potsdamer Platz erlebt, wie ein Angestellter der Zugaufsicht von einer erbosten Kundin sehr deutlich und emotional kritisiert wurde. Ich befand mich, muss ich ehrlich gestehen, in einem Zwiespalt. Der ältere Mann behielt die Ruhe und machte auf mich den Eindruck, unangenehm berührt worden zu sein. Auf der anderen Seite konnte ich den Ärger der Frau durchaus nachvollziehen. Denn… in Berlin herrscht das Chaos. Naja, vielleicht noch nicht ganz. Noch dümpeln wir in einer Vorstufe herum. Aber ab Montag wird auch der letzte Rest einer Ordnung getilgt sein. Dann nämlich, wenn die S-Bahn Berlin unter den konkurrierenden Anforderungen von Fahrplänen und Prüfungsfristen zusammenbrechen wird.

Das ganze Spektakel ist so absurd, dass es mittlerweile Eingang in die bundesweite Tagespresse gefunden hat. Andernorts mag man darüber noch schmunzeln können. Hier in Berlin sieht das allerdings ganz anders aus.

Und es gibt, da bin ich wohl weder besonders fantasievoll noch polemisch, einen Mann, dem wir diesen Zustand verdanken. Nachname Mehrdorn, Vorname Bahnchef. Man ist geneigt zu sagen: mittlerweile glücklicherweise nicht mehr. Denn die verbissenen Anstrengungen des auf Gewinnmaximierung geeichten ehemaligen Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Bahn wirken noch immer nach.
Alles und jeder innerhalb des Konzerns hatte sich dem Credo des Börsengangs zu unterwerfen. Auch die an sich hoch profitable Tochtergesellschaft Berliner S-Bahn. Diese führte im letzten Jahr sage und schreibe 56 Millionen Euro Reingewinn an den Mutterkonzern ab. Das allerdings zu einem hohen Preis. Stellenkürzungen waren zur Erreichung dieses Traumergebnisses ein probates Mittel.
Und es hätte auch munter so weitergehen können.

Dann allerdings kam der erste Mai 2009: in Berlin-Kaulsdorf entgleiste ein S-Bahnzug der Baureihe 481, der mittlerweile wohl bekanntesten Triebwagen der Bundesrepublik. Grund war ein Riss in einer Radscheibe. Die Konsequenz: verkürzte Fristen für die Wirbelstromprüfungen der vorderen und hinteren Radsätze. Eine vernünftige Maßnahme, wir sich der geneigte Leser vielleicht denken. Das Eisenbahnbundesamt (EBA) dachte ähnlich. Die S-Bahn Berlin aber ganz offensichtlich nicht.
Die Fristen wurden nicht eingehalten und infolge dessen hat sich das düpierte EBA im Juni diesen Jahres dazu hinreißen lassen, eine ganze Reihe der über 600 Viertelzüge der Baureihe 481 aus dem Verkehr zu ziehen, bis sie ordnungsgemäß überprüft worden wären.
Der S-Bahn-Chef, im Übrigen auch verantwortlich für das umstrittenen Verfahren von Verkauf und Releasing der Fahrzeuge an und von einem amerikanischen Investor, ist mitsamt Vorstand unterdessen gegangen.
Damit allerdings hört die Farce noch nicht auf. Mittlerweile sind noch 130 Viertelzüge im Betrieb verblieben, weil das EBA auch die zusätzliche Überprüfung der mittleren Radsätze angeordnet hat.

Nützliches Hintergrundwissen ist in diesem Zusammenhang der Umstand, dass sich der Personalstamm des EBA traditionell aus einer nicht unerheblichen Anzahl ehemaliger DB-Mitarbeiter rekrutiert. Der von anderen Akteuren in der doch kleinen und stark in sich geschlossenen Eisenbahnwelt verwendete Begriff „Seilschaften“ lässt erahnen, dass diese ehemaligen DB’ler hin und wieder doch noch Anfälle von Loyalität gegenüber ihrem alten Arbeitgeber erleben. Bisher standen sie traditionell nicht im Verdacht, besonders DB-unfreundlich zu sein.
Wenn nun sogar schon dieser Mechanismus nicht mehr greift und sich die oberste Aufsichtsbehörde zu solch drastischen Maßnahmen hinreißen lässt, kann man vielleicht erahnen, was da hinter den Vorhängen der Berliner S-Bahn alles schief gelaufen sein muss.

Der Abfertiger am Bahnhof Potsdamer Platz freilich kann dafür nichts. Die zahlenden Fahrgäste allerdings noch weniger. Und alle, vornehmlich schuldlosen, Beteiligten stellen sich unterdessen auf ein Verkehrschaos bis ins Jahr 2010 hinein ein.

1 Kommentar:

Unknown hat gesagt…

Vielleicht erfolgt endlich mal ein Umdenken im Bereich des ÖPNV und es wird nicht mehr nur nach den Kosten entschieden, sondern auch auf die Qualität geachtet...