Mittwoch, 18. Juni 2008

Kanzelparagraph

Die kleinen Geplänkel zwischen mir als überzeugtem Aushilfschristen (vulgo: Protestant) und meinem zu einem nicht unerheblichen Teil katholisch geprägten Freundeskreis (ja, das sind auch Menschen, in den meisten Fällen sogar sehr beachtenswerte) in Hinblick auf die Eigenheiten der mehr oder minder nachhaltig vertretenen Konfession sind in den meisten Fällen sehr unterhaltsam. Die kleinen und großen Unzulänglichkeiten der Römisch-Katholischen Kirchen, bis dato noch mein liebevoll gepflegtes Vorzugsfeindbild, gaben mir genug Argumente an die Hand, mich mit ein wenig Ironie und wohlwollendem Spott (Ökumene ist mehr als ein Wort in meinen Augen) über die Schäfchen und Schafe des Papstes lustig zu machen.


Die heutige Portion der täglichen Zeitungslektüre allerdings hat mir den Spaß daran für eine Weile verdorben und mich eines Teils meiner Argumentationsbasis nachhaltig beraubt.

Es geht konkret um Folgendes: Wie in der aktuellen Ausgabe der Frankfurter Rundschau gemeldet, weigerte sich eine der Evangelischen Kirche Deutschland (EKD) zugehörige Gemeinde in Bremen standhaft dagegen, eine Pastorin, vertretungsweise, eine Trauerfeier in Talar und auf der Kanzel abhalten zu lassen. Die Gemeindeordnung der St.-Martini-Gemeinde, und der Name darf hier durchaus genannt werden, lasse solches nicht zu. Man beruft sich dabei auf einen Brief des Apostels Paulus, dessen alleinige Deutungshoheit des Wortes Gottes gerne angezweifelt werden darf, an Timotheus, in dem geschrieben stand „Einer Frau gestatte ich nicht, dass sie lehre, auch nicht, dass sie über den Mann Herr sei, sondern sie sei still“. Man halte sich vor Augen, dass dieser Brief vor etwa 2000 Jahren geschrieben wurde. Zu dieser Zeit hielt der abendländische Kulturkreis die Erde noch für eine Scheibe und selbige für das Zentrum des Universums, sofern er zu solch einer Denkleistung überhaupt imstande war.


Aber um der Argumentation der St.-Martini-Gemeinde zu folgen: Paulus hat es gesagt. Punkt. Die Diskussion fand in Bremen an dieser Stelle offensichtlich ein Ende. Ich möchte sie allerdings fortsetzen. Denn es hat beispielsweise der Wegbereiter des evangelischen Glaubens, der Oberprotestant und Oberprotestierer schlechthin, Martin Luther gesagt, dass Juden das Übel der Welt (ob Scheibe oder Kugel) seien. Sind wir deswegen eine antisemitische Glaubensgemeinschaft? Ich hoffe nicht.

Recht weit vorn in der Bibel findet sich auch der alttestamentarische Grundsatz von „Auge um Auge und Zahn um Zahn“. Gründet sich die Rechtsprechung in der christlich sehr stark geprägten abendländischen Kultur deswegen darauf?

Offenbar wurde auch die Bergpredigt nie weiter als bis zu ihrem Wortlaut hin ausgelegt. Da heißt es nämlich „Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst“. Das sind hehre Worte, denen ich keinesfalls widersprechen möchte. Zu Liebe gehört aber auch Respekt und Achtung. Und Der Nächste kann genauso gut Die Nächste sein.


Die Inhalte der Bibel in einem zeitlichen Kontext zu verstehen und sie in die aktuelle Lebenswelt der Gläubigen zu übersetzen, ist eine Kunst. Den intellektuellen und handwerklichen Hintergrund dafür erwartet man gemeinhin von den Leuten, die sich sehr intensiv damit befasst haben. Wenn solche Handwerker der Heiligen Schrift, solche durch einen akademischen Grad geadelte Wissenschaftler des Glaubens dann allerdings daherkommen und uns predigen, dass es erklärter Wille Gottes, Jesus' und des Heiligen Geistes sei, die Hälfte der Gesellschaft als minderwertig und der christlichen Lehre unwürdig abzustempeln, dann stehe ich sprachlos vor meiner bis dato noch für so fortschrittlich (man beachte den Kontext) gehaltenen Kirche und frage mich, an welcher Stelle der Entwicklung diese denn stehen geblieben ist.

Zur Ehrenrettung der EKD sei gesagt, dass dies Standpunkte einzelner Gemeinden sind. Das nimmt der Problematik aber nur einen Teil ihrer Brisanz.

Warum wird denn zugelassen, dass die in der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland verankerten Grundrechte auf Menschenwürde (und das ist in diesem Falle keineswegs zu hoch gegriffen) und Gleichstellung der Geschlechter so eklatant missachtet werden? Immerhin handelt es sich um kein Willkürregime sondern um einen Staat mit freiheitlich-demokratischer Grundordnung (und das ist er tatsächlich). Zudem um einen Staat, der mit dem Instrument der Kirchensteuer eben jener Institution, die solcherlei Missachtung zulässt, eine respektable und mit wenig Aufwand verbundene finanzielle Grundausstattung gewährleistet. Von der Glaubens- und Meinungsfreiheit mal ganz abgesehen. Glaubens-, Gewissens- und Lehrfreiheit, wie sie die Gemeinden der Bremischen Evangelischen Kirche genießen, muss, kann und darf nicht als Ausrede dafür dienen, praktische Diskriminierung zu betreiben.


Gut, dass sich die katholische Kirche an diese Grundsätze ebenfalls nicht zu halten gedenkt, steht auf Seite zwei. Das aber gäbe mir wieder ein Argument an die Hand, gegen meine hoch geschätzten und (trotzdem) katholischen Freunde zu argumentieren.


Gesegnet seien die Skifahrer!



Quelle: Frankfurter Rundschau, 64. Jahrgang, Nr. 140, 18. Juni 2008, Druck- und Verlagshaus Frankfurt

4 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Der gute Herr Luther so einiges von sich gegeben, was heute wohl weniger Salonfähig wäre. In Etwa: "Ob sie sich aber auch müde und zuletzt todt tragen, das schadet nichts, laß' sie nur todt tragen, sie sind darumb da." Und so manches andere ...

Was ich, im Übrigen, an dem Sätzlein "Liebe deinen Nächsten wie dich selbst" noch um einiges bemerkenswerter finde ist eigentlich der Hinweis auf sich selbst. Ergo: Ich kann meinen Nächsten ja schlecht lieben, wenn das bei mir selbst noch happert. Auch so ein Aspekt, über den ich bezeichnenderweise noch keinen Pfarrer oder Pastor habe predigen gehört.

Migdalit

go-phi hat gesagt…

"Warum wird denn zugelassen, dass die in der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland verankerten Grundrechte auf Menschenwürde (und das ist in diesem Falle keineswegs zu hoch gegriffen) und Gleichstellung der Geschlechter so eklatant missachtet werden? Immerhin handelt es sich um kein Willkürregime sondern um einen Staat mit freiheitlich-demokratischer Grundordnung (und das ist er tatsächlich). "

Ideale Vorstellungen (Das Recht auf Papier geschrieben ...) haben noch längst nicht die Wirklichkeit erreicht ;)
Vielleicht sind solche Erfahrungen auch gut? Immerhin sind Mann und Frau nicht gleich (dahingehend verstehe ich einige Bemühungen von Frauenbewegungen), jedoch sind sie gleich berechtigt.
Ich denke, wir sind dabei eigene Erfahrungen mit diesem gewaltigen gesellschaftlichen Umbruch zu finden, manchmal finden wir dann auch wieder Rückschritte vor.

Scipio hat gesagt…

Beide Konfessionen haben es doch wunderbar geschafft, sich den Staat vom Hals zu halten.
Genaugenommen wollte doch der Staat sich von der Kirche trennen und hat sich säkularisiert. Von daher ist es nicht verwunderlich, dass die Kirche(n) sich heute von staatlichen Dingen wie Gleichberechtigung, Menschenwürde und ähnlichem ganz gern mal abwenden, wenn es denn nicht die sonntägliche Predigt von der Kanzel ist.

Auf der anderen Seite ist es auch klar, dass eine Religion sich selbst Regeln gibt bzw. diese von Gott gegeben worden sind. Das heißt auch, dass eine Religion das Recht hat, ihre INTERNEN Angelegenheiten so zu händeln, wie es ihre göttlichen Regeln verlangen.

Die schlechteste Lösung läge im Synkretismus, sprch ein Best of von allen möglichen Glaubensvorstellungen. Motto: "Jesus ist cool, meditiert wird auf buddhistische Art, islamische Jenseitsvorstellung mit 72 Jungfrauen passt, was machen wir am Sabbat?"

Solange kein Schaden für Personen entsteht, tut der Staat gut daran, sich aus der Religion rauszuhalten und den Religionen ihre Freiheit zu lassen - das hat er sich ja auch ins Grundgesetz gemeiselt.

Religion ist frei und damit freiwillig. Mitgestalten ist gut.
Aber wissen zu wollen, was für andere besser ist, ging noch nie gut. Weder bei Staaten, noch bei Kirchen.

Caro Mahn-Gauseweg hat gesagt…

Hier steht die Frage, ob ich es für andere oder für meine Gruppe weiß. Ich fühle mich der EKD zugehörig und auch verbunden und nehme mir als bekennender Bestandteil das Recht heraus, ihre Haltung in diesem Falle zu kritisieren.