Dienstag, 11. August 2009

Der Busen der Anderen

Da ist sie wieder: Die Diskussion zur Ästhetik einer Politikerin im Allgemeinen und der der Kanzlerin im Speziellen. Pünktlich zur Wahl wird wieder gespöttelt, es wird über völlig unwichtige Dinge debattiert, ein Dekolleté rückt ins Zentrum des medialen Interesses. Klingt absurd? Ist es auch.

Stein des Anstoßes ist Vera Lengsfeld. Der aufgeklärte Leser wird sie als DDR-Bürgerrechtlerin in Erinnerung haben; vielleicht auch als Trägerin des Bundesverdienstkreuzes. Das alles aber rückt ganz offenbar in den Hintergrund, nun da sie mit dem Busen der Kanzlerin und ihrem eigenen Vorbau Wahlwerbung betreibt. So zumindest ist die Lesart eines nicht unerheblichen Teils der deutschen Presselandschaft. Vom "Busenwahlkampf" ist die Rede.
Die Plakate von Frau Lengsfeld präsentieren dabei keineswegs Anstößiges. Im Grunde zeigt sie nicht mehr als zwei Damen in Abendrobe und darunter den Slogan „Wir haben mehr zu bieten“. Mehr Geschmack? Mehr Rockumfang? Mehr Schleppe? Oder gar mehr Politiker aus den neuen Bundesländern? Mal ehrlich: wer Bild und Text sofort zum Gedanken „Die haben Titten“ fusioniert, ist selbst schuld. Wer diesen Gedanken, diese so schön portionierte Zweideutigkeit, dann zumindest mit einem amüsierten Lächeln hinnimmt, dem sei gratuliert. Alle anderen sollten ihre eigene Borniertheit nicht auch noch öffentlichkeitswirksam zur Schau tragen. Auf den Plakaten ist nichts anderes zur Schau gestellt als zwei durchschnittliche, reifere Damen und damit ein durchaus repräsentativer Spiegel der Gesellschaft, deren weibliche Hälfte in etwa so aussieht, mal so aussah oder später so aussehen wird.
Liebe Landsleute, so ist es nun einmal beschaffen, das weibliche Dekolleté fernab von Fernsehen und Mode.

Die Diskussionen um Frau Merkel und ihr Äußeres ist ohnehin nicht neu und hin und wieder scheint sie sich wieder selbst beleben zu wollen. Wir erinnern uns schließlich alle an die ewigen Schmähungen ihrer Garderobe oder ihrer Frisur. Fragt sich nur, warum? Warum hat sich nie jemand über den im eigenen Fett beinah ertrinkenden Altkanzler Kohl so echauffiert wie über die Karo-Jacketts von Merkel? Warum sind die Geheimratsecken von Willy Brandt niemals so diskutiert worden wie das Volumen des Haupthaars der Bundeskanzlerin?
Ich glaube mich nicht weit aus dem Fenster lehnen zu müssen um zu sagen, dass sie sich durch einen Umstand ganz entschieden von ihren Vorgängern abhebt: Sie ist kein Mann. Und daran hat sich die konservative deutsche Seele noch immer nicht gewöhnt. Ministerinnen kennt man mittlerweile, daran nimmt niemand mehr gesonderten Anstoß. Aber eine Kanzlerin… Oder gar eine Wahlkämpferin mit Humor… Nein, das ist dem deutschen Wahlvolk und dem der Meinungsreflexion verpflichteten deutschen Feuilleton nicht zuzumuten. Darüber muss lang und breit debattiert werden.

Schwachsinn.

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