Freitag, 18. Oktober 2013

Ballern mit moralischer Komponente - Kriegsvölkerrecht in Videospielen

Prof. Dr. Pierre Thielbörger ist Juniorprofessor für Völkerrecht an der Ruhr-Universität Bochum und hat in der Schriftenreihe Bofaxe, herausgegeben vom Institut für Friedenssicherungsrecht und Humanitäres Völkerrecht der RUB [IFHV], einen Beitrag zur IKRK-Initiative Video Games and Law of War veröffentlicht. Er hat mir gestattet, den Beitrag auch hier zu publizieren. Viel Spaß bei der Lektüre.
Schon oft haben Politiker gewaltsame Kriegsszenen in Videospielen kritisiert. Zielführend war diese Kritik bisher freilich nicht: die Nachfrage nach Kriegsvideospielen, die brutale Gewaltszenen zeigen, ist enorm. Das Internationale Komitee des Roten Kreuzes (IKRK) hat nun einen interessanten Vorschlag gemacht, der dieser Realität Rechnung trägt und sich dem Problem von einem neuen Blickwinkel nähert.
Das IKRK hat nicht, comme d’habitude, die Spielemacher von Gewaltvideospielen pauschal gescholten, sondern ihnen konstruktive Zusammenarbeit angeboten. Das Komitee will in Zukunft den Spielentwicklern von Kriegsvideospielen beratend zur Seite stehen, so dass das humanitäre Völkerrecht in Kriegsspielen stärkere Würdigung findet. Warum bringt sich das IKRK in diese Debatte überhaupt ein? Was will das Komitee erreichen? Und um welche Spielszenen und um welche darin gespiegelten Verstöße gegen humanitäres Völkerrecht geht es?

Selbstverständlich begeht kein Videospieler selbst Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht, denn freilich finden weder internationale noch nicht-internationale Konflikte (Art. 2 und Art. 3 Genfer Konventionen) auf der Couch und vor dem Bildschirm statt. Insofern lässt sich durchaus argumentieren, dass dem IKRK, das für die Einhaltung der Genfer Konventionen weltweit eintritt, gewaltsame Videospiele doch eigentlich herzlich egal sein könnten. Relevant wird die Sache allerdings insofern, als dass derartige Videospiele heutzutage vermehrt vom Militär zu Übungszwecken genutzt werden, um Soldaten auf den Ernstfall vorzubereiten. In ähnlicher Weise benutzen die USA schon seit 2002 das vom US-Militär produzierte Kriegsvideospiel „America’s Army“ zur Rekrutierung neuer Soldaten. Die Argumentation des IKRK lautet nun wie folgt: wer die Ge- und Verbote des humanitären Völkerrechts schon als Privatmann im Videospiel zu achten lernt, wird sie auch in realen bewaffneten Konflikten als Kombattant (Art. 43 Zusatzprotokoll (ZP) I) eher respektieren.
Zu betonen bleibt, dass nicht jedes Gewaltspiel, wäre es Realität, das humanitäre Völkerrecht überhaupt zur Anwendung brächte. Stets muss die Schwelle zum internationalen bzw. nicht-internationalen Konflikt überschritten sein, was bei Amokläufen, Straßenschlachten oder Bürgerkriege nicht der Fall ist. Sie sind, selbst in der Realität, nicht am Kriegs-, sondern am Friedensrecht zu messen. Die Szenen, die in Kriegsspielen den Spielern oftmals ohne Rücksicht auf das humanitäre Völkerrecht ermöglicht werden, sind vielfältig. Unbestrafte Attacken auf Zivilisten (Verstoß gegen Art. 51 ZP I), Kriegsgefangene (Verstoß gegen Art. 13 Genfer Konvention III), Verletzte (Verstoß gegen Art. 12 Genfer Konventionen I und II) oder medizinisches und humanitäres Personal (Verstoß gegen Art. 15 ZP I) gehören sicherlich dazu. Aber auch weniger personalisierte Attacken, wie etwa der wahllose Abwurf von Giftgasbomben aus einem Flugzeug, würden in einem echten bewaffneten Konflikt zumindest gegen das Verbot unterschiedsloser Angriffe verstoßen (Verstoß gegen Art. 51 Abs. 4 ZP I). Ebenfalls die Zerstörung von Versorgungseinheiten wie Wasser- oder Nahrungsspeichern (Verstoß gegen Art. 54 Abs. 2 ZP I) oder von besonderen Kulturgütern (Verstoß gegen Art. 53 a) ZP I) gehören auf die Liste des IKRK.

Besonderes Aufsehen erregte vor kurzem ein Spiel aus der äußerst erfolgreichen „Call of Duty“-Reihe (über 100 Millionen verkaufte Spiele), das den Einsatz von Foltermethoden zu Verhörzwecken (Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1a) Genfer Konventionen) für den erfolgreichen Spielverlauf vorsieht, wobei für die in Deutschland erschienene Version diese Szene entfernt werden musste. Es ließen sich viele weitere Beispiele finden, die im „Echtfall“ Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht bedeuten würden. Das IKRK hat viel Arbeit vor sich. Dem IKRK kann zu diesem Vorstoß insgesamt nur gratuliert werden. Es hat den moralischen Zeigefinger stecken lassen und stattdessen pragmatisch die Ärmel hochgekrempelt. Denn Verbreitungsarbeit bedeutet heutzutage auch, sich den Realitäten des 21. Jahrhunderts zu stellen. Zu diesen Realitäten gehören gewaltverherrlichende Videospiele nun einmal dazu.


Ein kleiner Hinweis meinerseits: Möglicherweise konnotierte Meinungen des Autors in Bezug auf Videospiele (und hier insbesondere First-Person-Shooter) mache ich mir mir nicht zueigen. Der Ansatz des IKRK und dessen Hintergründe finde ich aber durchaus begrüßenswert.

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